Die Nacht der Trichjer: Wenn 103 Männer in Fiesch und Fieschertal die bösen Geister vertreiben - Pomona Online vom 06.12.2022

06.12.2022

60 Jahre Nachttrichjer

Die Nacht der Trichjer: Wenn 103 Männer in Fiesch und Fieschertal die bösen Geister vertreiben

Zum 60. Mal marschierten die Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal am Montagabend durch die beiden Dörfer und liessen die Tradition aufleben. Ein Rückblick.

Montagabend bei der Brücke in Fiesch. Ein Blick auf die Uhr. Es ist 16.45 Uhr. Die Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal bereiten sich vor.

Benjamin Albrecht, gebürtiger Fiescher und 34 Jahre alt, brüllt mit voller Inbrunst folgendes Kommando in den Fiescher Abendhimmel: «Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal: Vorwärts Marsch!».

Auf der Stelle setzen sich 103 Männer mit ihren Kuhglocken, die sie um ihre Hüften gebunden haben, im Gleichschritt in Bewegung.

Mit seinem Kommando hat Benjamin Albrecht den Startschuss für das Nachttrichju 2022 in Fiesch und Fieschertal gegeben.

Seit 1962 marschieren die Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal jeweils am Vorabend von St. Niklaus, am 5. Dezember, durch die beiden Dörfer, um die bösen Geister zu vertreiben. Der Brauch ist in beiden Ortschaften beliebt. Mitmachen ist Ehrensache.

Mitmachen im Verein der Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal können alle Männer ab 18 Jahren. Sie sind alle einheitlich gekleidet. Sie tragen schwarze Schuhe und eine schwarze Hose. Dazu kommen ein weisses Hemd, eine goldene Mütze und die Kuhglocke, welche um die Hüfte gebunden wird.

Die Kommandos auf Fiescher Boden gibt seit neun Jahren Hauptmann Benjamin Albrecht. Er achtet darauf, dass der strikte Zeitplan fürs «Nachttrichju» penibel genau eingehalten wird. Bis zum Abschlussdefilée zu später Stunde auf dem Fiescher Dorfplatz müssen die Nachttrichjer sechs verschiedene Standorte anvisieren. 

Nach dem Start bei der Brücke treffen die Nachttrichjer kurz nach 17 Uhr beim Altersheim St. Theodul in Fiesch ein. Dort freuen sich die Bewohner auf den Besuch der Trichjer. Die Trichjer marschieren im Gleichschritt ins Heim ein.

Hauptmann Benjamin Albrecht meldet die Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal an. Die Trichjer können bei einem Glas Wein oder einem Bier kurz verschnaufen. Danach geht es weiter. Der Zeitplan muss eingehalten werden. Darauf achtet Hauptmann Benjamin Albrecht genau.

Beim ÖV-Hub in Fiesch steigen die Nachttrichjer in zwei Postautobusse. Bei der «Milimatta» auf dem Territorium der Gemeinde Fieschertal stellen sich die 103 Männer auf.

Weil die Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal in diesem Jahr das 60-Jahr-Jubiläum feiern, sind auch die Alttrichjer mit dabei.

In Fieschertal hat nicht mehr Benjamin Albrecht das Sagen, sondern der Fieschertaler Hauptmann Fabian Zurgilgen. Auch Zurgilgens Vorgänger Sebastian Volken ist dabei. Genauso wie der Vorgänger von Benjamin Albrecht, Mario Kluser. Die vier Hauptmänner sorgen dafür, dass die 103 Nachttrichjer im Gleichschritt durch Fieschertal marschieren.

In der Turnhalle ist gefühlt das ganze Dorf anzutreffen. Aber auch auswärtige Gäste sind da, wie beispielsweise der Visper Gemeinderat, der eingeladen wurde.

Der Fieschertaler Hauptmann der Nachttrichjer, Fabian Zurgilgen, ist zufrieden, wie es bisher gelaufen ist: «Es ist schön, dass so viele Alttrichjer mit dabei sind für das heutige Jubiläum.»

Zurgilgen ist, wie so viele Junge in Fiesch und Fieschertal, quasi mit dem «Nachttrichjervirus» aufgewachsen. Schon als Kind lief er mit einer Trichja umher. Als er dann das Mindestalter von 18 Jahren erreicht hatte, war für ihn klar, dass er bei den Nachttrichjern mitmacht.

Zurgilgen sagt: «Den Brauch wollen wir auch in Zukunft weiterleben und an die nächste Generation weitergeben.» Das sieht auch Bruno Imwinkelried so: «Das Trichju war für mich schon als Kind eine coole Sache und daher war für mich früh klar, dass ich eines Tages mit den Erwachsenen mitlaufen werde.»

Imwinkelried ist nun schon ein erfahrener Trichjer, wie die beiden Abzeichen an seinem Nachttrichjerhemd verraten.

Nach der Visite in der Turnhalle von Fieschertal teilen sich die Nachttrichjer auf.

Die Alttrichjer bleiben noch in Fieschertal und kehren dann später fürs grosse Defilée nach Fiesch zurück.

Die Nachttrichjer steigen in den Bus ein, der sie zurück nach Fiesch bringt. Dort marschieren sie anschliessend bis gegen 20.15 Uhr praktisch ohne Pause durch die Strassen und Gassen von Fiesch.

Immer wieder halten die Nachttrichjer vor Hauseingängen oder Restaurants an. Hauptmann Benjamin Albrecht meldet dann seine Mannen kurz an und diese ziehen dann nach einem kurzen Zwischenstopp jeweils im Gleichschritt weiter. So spulen die Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal an diesem Montagabend einige Kilometer ab.

Kurz vor 21 Uhr treffen dann die Alttrichjer und Nachttrichjer wieder aufeinander. Gemeinsam marschieren sie auf den Dorfplatz. Dort warten schon viele Leute, um dem Höhepunkt, dem Defilée, beizuwohnen.

Im Rahmen des Defilées werden zwei Männer zu Gefreiten befördert. Die beiden Nachttrichjer haben die Bedingungen, die es für den Grad des Gefreiten braucht, erfüllt.

Sie haben drei Jahre tadellos mitgemacht und auch die letzte Prüfung, das korrekte «Trichju» vor der versammelten Menschenschar auf dem Fiescher Dorfplatz, bestanden.

Ein Nachttrichjer wird an diesem Abend auch noch zum Obertrichjer befördert und ein Trichjer muss, weil er seinen Durst während des Marschierens und nicht im Rahmen der Pausen gestillt hat, zum «Straftrichjen» antraben.

Emotional wird es dann, als Adolf Stucky, einer der Gründer der Nachttrichjer, ein paar Worte an die Gemeinschaft richtet und dann um Punkt 21:58 Uhr sein allerletztes Kommando gibt und ins Mikrofon ruft: «Nachttrichjer Fiesch-Fieschertal: Vorwärts Marsch!».

Zum Abschluss richtet der Nikolaus ein paar Worte an die Anwesenden und verteilt Lob und Tadel.

Danach geht die Bevölkerung zu später Stunde nach Hause.

Die Nachttrichjer machen noch einen Abstecher in der Bar-Lounge Talstation und ziehen danach zur grossen Jubiläumsfeier ins Fiescher Feriendorf weiter.

Immer im Gleichschritt und im Takt und wie es der Fiescher Hauptmann der Nachttrichjer Fiescher-Fieschertal treffend formuliert. «Als Bindeglied zwischen den beiden politisch eigenständigen Gemeinden Fiesch und Fieschertal.»

Quelle: Pomona Online

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